- Schmecken: Physiologie und Schmeckerlebnisse
- Schmecken: Physiologie und SchmeckerlebnisseWährend der Riechsinn Tausende von Duftempfindungen vermittelt, ist die Zahl der unterscheidbaren Geschmacksqualitäten klein. Trotzdem sind die physiologischen Grundlagen des Geschmackssinns komplizierter und weniger gut bekannt als die des Riechens.Biologische Grundlagen des SchmecksinnsWeder die Schmeckzellen in der Zunge noch die nachgeschalteten Nervenzellen reagieren reizspezifisch, zum Beispiel nur auf Salz oder nur auf Zucker. Alle im Tierversuch erforschten Zellen der Schmeckbahn, von den Sinneszellen in der Zunge bis zu den Nervenzellen in der Großhirnrinde, reagieren auf mehrere, viele sogar auf alle Reizarten. Die Empfindlichkeiten für verschiedene Stoffe sind allerdings nicht gleich. So reagiert die eine Zelle auf geringe Konzentrationen von Zuckerlösungen, aber nur auf höhere Konzentrationen von Kochsalz, während es bei anderen gerade umgekehrt ist. Obwohl die Sinnes- und Nervenzellen für mehrere, möglicherweise für alle Reizarten des Geschmackssinns empfänglich sind, sind die Empfindungen Süß, Sauer, Salzig und Bitter unverwechselbar verschieden. Wie das Nervensystem die verschiedenen Geschmacksqualitäten unterscheidet, ist unklar. Das Konzept der Empfindungsspezifität der Sinnesbahnen, das sich bei den Hautsinnen und dem Riechsinn so gut bewährte, ist beim Schmecksinn anscheinend nicht verwirklicht, jedenfalls nicht eindeutig.Die Schmeckempfindlichkeit ist beim Menschen auf die Zunge und den Gaumen beschränkt. Fische haben Schmecksinneszellen auch in der äußeren Körperhaut. In der Abbildung links oben sind die Bereiche eingezeichnet, in denen wir für die Süß-, Sauer-, Salzig- und Bitterreize besonders empfindlich sind. Das Schema basiert auf mühsamen psychophysischen Messungen. Wenn alle Zellen der Schmeckbahn von der Zunge bis zum Großhirn auf alle Schmeckstoffe reagieren, dann muss das auch für alle Bereiche der Zunge gelten. Auf die Zungenspitze muss man allerdings höhere Konzentrationen von Chininsulfat-Lösungen auftropfen als auf den Zungengrund, um die Bitterempfindung auszulösen. Alle Schmeckempfindungen lassen sich an jeder Stelle der Zunge auslösen.Die Zungenoberfläche besteht aus dicht stehenden Papillen (nach lateinisch papilla, die Warze). Sie fühlt sich wegen der verhornten Spitzen der Fadenpapillen rau an. Zwischen ihnen eingestreut erkennt man mit der Lupe vor dem Spiegel die hellrosa gefärbten Pilzpapillen. Die Wall- und Blätterpapillen kann man an der eigenen Zunge nicht sehen, weil sie zu weit hinten liegen. An einer Rinder- oder Schweinezunge aus einem Metzgerladen dagegen kann man die Papillen gut erkennen. Die Schmeckstoffe müssen durch die Pore zu den fingerförmigen Mikrovilli der Sinneszellen gelangen. Die Stützzellen scheiden durch ihre feinen Mikrovilli wahrscheinlich Stoffe aus, die den Reizvorgang beeinflussen. Die Sinneszellen haben keine eigenen Axone, ähnlich den Haarzellen im Innenohr. Die Erregung wird über Synapsen auf die Axone der folgenden Nervenzellen übertragen. Eine Sinneszelle bleibt nur etwa zehn Tage aktiv, bevor sie abstirbt und eine neue Sinneszelle sie ersetzt, die aus einer der Basalzellen nachgewachsen ist. Auch die Synapsenverbindung muss dann neu gebildet werden.Die molekularen Vorgänge der Erregungsbildung sind nicht vollständig aufgeklärt. Eine Bitter- und Süßempfindung stellt sich ein, wenn der Schmeckstoff an einen Rezeptor bindet und dann über einen oder mehrere Botenstoffe in der Zelle einen Ionenkanal durch die Membran öffnet oder schließt. Bei sauren und salzigen Stoffen dringen die Ionen wahrscheinlich durch offene Kanäle in die Zellen ein und wirken über Folgereaktionen auf den Öffnungszustand von Ionenkanälen ein. Möglicherweise haben auch die Kombination mehrerer Prozesse dieser Art eine Bedeutung für die Verschlüsselung der Sinnesinformation.Einige Beobachtungen zum SchmeckenDie vier Geschmacksqualitäten Süß, Sauer, Salzig und Bitter sind allgemein akzeptiert. Zu allen Zeiten waren aber auch noch zusätzliche Qualitäten im Gespräch wie »Scharf«, wobei an Rettiche zu denken ist, oder neuerdings »Umami« (japanisch: guter Geschmack), ein Wohlgeschmack, den angeblich Aminosäuren in eiweißreichen Fischgerichten hervorrufen. In gewisser Weise ist es tatsächlich »Geschmackssache«, ob man die vielen zusätzlichen Wahrnehmungen, die uns die Zunge vermittelt, dem Tastsinn oder noch allgemeiner den Hautsinnen zurechnen will oder dem Geschmack. Die Abgrenzung ist schwierig, wie die zwischen Schmecken und Riechen beim Essen. Unter natürlichen Lebensbedingungen kommt es darauf an, dass bestimmte Fakten sicher wahrgenommen werden, wie in diesem Fall die Bekömmlichkeit oder Giftigkeit der Nahrungsmittel. Die reinen Geschmacksqualitäten Süß oder Bitter sind begriffliche Abstraktionen und nicht einfache Wahrnehmungsbausteine.Verschiedene Geschmacksqualitäten können in der Wahrnehmung gleichzeitig auftreten, ohne zu verschmelzen. So schmeckt die Pampelmuse süß, bitter und sauer. Die jeweilige Geschmacksempfindung hängt nicht nur von den Schmeckstoffen ab, sondern auch von deren Konzentration. Das ist leicht nachzuprüfen, wenn man von einer Salzlösung eine Verdünnungsreihe herstellt. Dazu gießt man von einer hochkonzentrierten Stammlösung eine bestimmte Menge in ein Messgefäß und füllt mit reinem Wasser auf. Von dieser Lösung nimmt man wieder dieselbe Menge und füllt auf. Für den Rest der Verdünnungsreihe verfährt man entsprechend. Jetzt braucht man nur noch Ruhe und Konzentration, um die Lösungen der Reihe nach vom reinen Wasser bis zur höchsten Konzentration zu probieren. Die Tabelle zeigt, was bei Kochsalz (NaCl) und Kaliumchlorid (KCl) gefunden wurde. Beim ersten Auftreten eines Geschmacks, der sich von dem reinen Wassers unterscheidet, können Menschen meistens noch gar keine Qualität erkennen. Sie merken nur, dass die Lösung irgendwie anders schmeckt. Mit steigender Konzentration stellen sich verschiedene deutliche Geschmacksqualitäten alleine oder gleichzeitig ein.Interessant ist auch der Nachgeschmack von Stoffen. Wenn man einen Schluck Zuckerwasser im Munde bewegt, schmeckt Leitungswasser danach bitter. Der bittere Nachgeschmack kann bei anderen Süßstoffen noch intensiver sein. Nach Artischocken schmeckt Leitungswasser süß, ebenfalls nach Zitronensäure, nicht aber nach verdünnter Salzsäure. Die Ursache für den veränderten Geschmack ist wahrscheinlich ein molekularbiologischer Vorgang in der Sinneszellmembran.Prof. Dr. Christoph von CampenhausenGrundlegende Informationen finden Sie unter:Chemorezeption: Riechen und SchmeckenBurdach, Konrad J.: Geschmack und Geruch. Bern u. a. 1988.Hänig, David Pauli: Zur Psychophysik des Geschmackssinnes. Leipzig 1901.Ohloff, Günther: Riechstoffe und Geruchssinn. Berlin u. a. 1990.Plattig, Karl-Heinz: Spürnasen und Feinschmecker. Die chemischen Sinne des Menschen. Berlin u. a. 1995.Vom Reiz der Sinne, herausgegeben von Alfred Maelicke. Weinheim u. a. 1990.
Universal-Lexikon. 2012.